Einer von den Guten

Buchseite und Rezensionen zu 'Einer von den Guten' von Jan Costin Wagner
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Einer von den Guten"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:0
EAN:

Rezensionen zu "Einer von den Guten"

  1. Ein pädophiler Kriminaler

    Wer diesen dritten Teil der Reihe um den Ermittler Ben Neven liest, sollte mindestens den zweiten davon auch kennen. Während es sich bei den ersten beiden Teilen „Sommer bei Nacht“ und „Am Roten Strand“ um eher klassische Kriminalfälle handelt, in denen es darum geht, einem Ring von Kinderschändern das Handwerk zu legen, liegt der Sachverhalt im vorliegenden Roman anders. Hier steht der BKA-Beamte Ben Neven im Mittelpunkt. Er ist verheiratet, hat eine Tochter sowie ein dunkles Geheimnis. Schon lange spürt er ein pädophiles Verlangen in sich, gegen das er lange angekämpfte. Im Rahmen des zweiten Bandes hatten Ben und seine Kollegen bereits Kenntnisse über einen Pädophilen-Treffpunkt an einem Parkplatz in Köln erhalten, wo sich minderjährige Jungen prostituieren sollten. Dieser Gelegenheit konnte Ben nicht widerstehen und wurde erstmalig sexuell übergriffig.

    Aus diesem ersten Mal hat sich nun eine Regelmäßigkeit entwickelt. Mittlerweile trifft Ben „seinen Jungen“, den 13-jährigen Adrian, wöchentlich, nimmt ihn im Auto mit und zahlt großzügig für sexuelle Dienstleistungen. Niemand ahnt etwas von diesem Doppelleben. Ben selbst leidet darunter. Er ist zutiefst zerrissen, hat Ängste, Gewissensnöte, empfindet deutlich die Illoyalität seiner Familie und seinen Kollegen gegenüber. Dennoch entwickelt er eine Passion für Adrian, von der er nicht lassen kann.

    Die Reihe arbeitet mit wechselnden Perspektiven. Man bekommt tiefe Einblicke in die Psyche des Täters, der doch so gerne „Einer von den Guten“ wäre. Mindestens ebenso tiefenscharf sind die Gedanken von Adrian, der aus Rumänien stammt und die deutsche Sprache nur rudimentär beherrscht. Er darf nicht zur Schule gehen. Sein Vater zwingt ihn zur Prostitution, das verdiente Geld muss er abgeben. In dieses trostlose Leben tritt die um ein Jahr ältere Vera. Die beiden Jugendlichen freunden sich behutsam an. Adrian lernt kennen, was Geborgenheit, Liebe und Familie bedeuten. Diese Beziehung macht es ihm immer schwerer, seine Kunden zu treffen. Er verändert sich, entwächst der reinen Opferrolle.

    Diese Perspektiven lesen sich unglaublich packend. Es ist erstaunlich, mit welch großer Empathie man Wagners Figuren verfolgt. Die Sätze sind unprätentiös, leicht verständlich, von Melancholie durchzogen, doch immer auf den Punkt gebracht. Das gleiche gilt für die pointierten Dialoge. Mit wenigen Worten wird sehr viel Emotion transportiert. Niemals wird gewertet, niemand wird von außen an den Pranger gestellt. Es ist ein heikler Spagat, der Jan Costin Wagner mit seinem Helden grandios gelingt. Wie kann ein BKA-Ermittler gleichzeitig ein Pädophiler sein? Man muss ihn verurteilen, er tut es selbst ja auch aufs Schärfste. Trotzdem ist man hin und her gerissen, sucht gemeinsam mit ihm nach einer tragfähigen Lösung, nach einer Heilung - obwohl man weiß, dass er suspendiert und bestraft gehören würde.

    Gleichzeitig hat man größtes Mitgefühl mit dem eigentlichen Opfer Adrian. Man fragt sich, wie so etwas in einer aufgeklärten Gesellschaft passieren kann. Das Eis ist dünn. Ich kenne keinen anderen Autor, der sich an einen solch brisanten Plot herantrauen würde, der zweifelsfrei viele Leser verstört. Aber der Autor entwickelt seine Geschichte in beeindruckender Weise ohne je zu bagatellisieren oder voyeuristisch zu sein. Er hat definitiv ein Händchen für schwierige und vielschichtig angelegte Charaktere, für das psychologisch intensive Moment. Ich habe diesen faszinierenden Roman geradezu inhaliert. Der Autor hat es erneut geschafft, mich in eine unbekannte Welt zu führen, die lange nachhallt. Am Ende ist es ihm sogar gelungen, die Handlung zu einem Ende zu bringen, das absolut glaubwürdig ist und auf einen vierten Band hoffen lässt.

    Jan Costin Wagner ist ein Stern in der deutschen Krimiszene. Wer sich das ernste, zwiespältige Thema zutraut, sollte die Ben-Neven-Reihe unbedingt lesen!

  1. Einer von den Guten?

    Ermittler Ben Neven verstrickt sich immer mehr in sein zwielichtiges Doppelleben. Er hält sich für einen von den Guten, was ihn aber nicht davon abhält, seine Familie zu hintergehen und sich immer wieder mit dem minderjährigen Adrian zu treffen. Im Dienst versucht er genau solche Fälle aufzuklären und die Täter zu überführen. Da bleibt es nicht aus, dass der innere Konflikt ihm zu schaffen macht.
    Adrian wird von seinem Vater zur Prostitution gezwungen. Als er Vera kennenlernt, erfährt Adrian, dass es ein ganz anderes Leben geben kann.
    Dies ist der dritte Band aus der Ben Neven-Reihe. Der Autor Jan Costin Wagner schreibt ungewöhnlich, distanziert, gleichzeitig aber auch intensiv, wertet aber nicht. Die Perspektiven wechseln, so dass man nahe am Geschehen ist. Gerade darum ist es oft sehr schwer weiterzulesen, denn Bens Doppelleben geht unter die Haut. Es ist so schwer zu ertragen, wie er auf der einen Seite in Sachen Kinderpornografie und Missbrauch an Kindern ermittelt und auf der anderen Seite auch ein Täter ist. Beim Lesen des Vorgängerbandes hatte ich so sehr gehofft, dass Neven die Kurve noch kriegt, obwohl man ahnen konnte, dass er nicht widerstehen wird. Doch tief in seinem Innern beschönigt er nicht. Er weiß, dass es nicht richtig ist, was er fühlt und tut. Fast wäre er aufgeflogen. Er vertraut sich seinem Mentor und Freund Landmann an.
    Es ist ein spannender, aber auch verstörender Roman, der nur schwer zu ertragen ist.

  1. Von Zerrissenheit und Schmerz

    Der BKA-Ermittler Ben Neven, selbst verheiratet und Familienvater, arbeitet mit seinem Kollegen Christian Sander und dem weiteren Team an einem spektakulären Fall des Kindesmissbrauchs, der die ganze Abteilung schon seit einiger Zeit beschäftigt. Während die Hauptschuldigen ermittelt wurden, sind die Polizist:innen dabei, ein regelrechtes Netzwerk aufzudecken. In den Blick gerät dabei der Parkplatz eines Schwimmbads in Dortmund. Dort soll es Fälle von Kinderprostitution geben. Was niemand weiß: Ben ist selbst einer der Freier. Wöchentlich trifft er sich dort mit dem 13-jährigen Adrian. Und während die Ermittlungen voranschreiten, zieht sich die Schlinge um Bens Doppelleben immer weiter zu...

    "Einer von den Guten" ist der dritte Band der Ben-Neven-Reihe von Jan Costin Wagner, der jetzt bei Galiani erschienen ist. Zwar ist es für die Lektüre nicht zwingend notwendig, die Vorgängerbände "Sommer bei Nacht" und "Am roten Strand" zu kennen, sie erleichtert aber das Verständnis für die Figuren und deren Zusammenhänge. Davon abgesehen sind sie von so hoher Qualität, dass man sie eigentlich ohnehin gelesen haben sollte.

    Manchmal ist Literatur schmerzhaft. Sie führt dich an Abgründe, an die du dich normalerweise nicht herantrauen würdest. Sie packt dich und reißt dich mit. Du leidest mit den Figuren und freust dich mit ihnen. Du wünschst ihnen das Beste oder hoffst, dass sie mit ihrem Verhalten und ihrem Tun nicht durchkommen werden. Du bist meistens auf Seiten der Guten. Doch was ist, wenn die Figuren so zerrissen sind, dass es dir schwerfällt, sie zu beurteilen? Oder sie zu verurteilen? Ein solches Buch ist "Einer von den Guten".

    Wie schon in den beiden Vorgänger-Bänden gelingt es Jan Costin Wagner auch in diesem Buch vortrefflich, die Zerrissenheit seiner Figuren intensiv erlebbar zu machen. In kurzen, meist traurigen und atmosphärischen Sätzen nähert er sich insbesondere seinem Protagonisten Ben Neven, der stärker als je zuvor im Fokus steht. Denn "Einer von den Guten" ist tatsächlich mehr Psychogramm als Kriminalroman. Auch "Sommer bei Nacht" und "Am roten Strand" mäanderten schon deutlich über die Genregrenzen hinaus, mit dem dritten Band treibt Wagner dieses Spiel auf die Spitze.

    Die Dialoge, die teilweise nur aus Fragmenten bestehen, sind herausragend. Vor allem die Gespräche zwischen Ben und seinem besten Freund Ludwig Landmann, den wir schon in den ersten Büchern als eine Art Ziehvater des pädophilen Ermittlers kennengelernt haben, sind von fast unglaublicher Intensität. In jedem Satz, in jedem kleinsten Wort steckt so viel mehr als das Gesagte. Ein weiterer Pluspunkt ist die Multiperspektivität, die diesmal durch die Figur des Adrian bereichert wird. Der einsame rumänische Junge, der von seinem Vater dazu genötigt wird, sich zu prostituieren, ist Wagner hervorragend gelungen. Die Schwierigkeit, dass Adrian fast kein Deutsch spricht, umgeht der Autor, indem er sich tief in die Gedankengänge des Kindes hineinversetzt. Dabei vermeidet er die Gefahr des Klischees, den Jungen lediglich als Opfer zu präsentieren. Denn mit der Freundschaft zu der 14-jährigen Vera erfährt Adrian auch Momente des Glücks - und die Leserschaft eine zärtliche kindliche Liebe, die als eine Art Gegenpol zu den oftmals schwer zu ertragenden Szenen rund um Ben Neven wirken.

    Erstaunlich ist die Feinfühligkeit Wagners auch mit Blick auf seine Hauptfigur. Spätestens mit diesem Band dürfte sich die Mehrheit der Leser:innen einig sein: Ben ist keiner mehr von den Guten. Dafür macht er sich in mehrfacher Hinsicht zu schuldig. Dennoch verurteilt Wagner ihn nicht. Das macht Ben ohnehin schon selbst. Man spürt in diesen Szenen oder auch in dem Moment, in dem Ben einen Therapeuten aufsucht, wie intensiv und differenziert sich Jan Costin Wagner mit dem Thema Pädophilie auseinandergesetzt haben muss. Das ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich und mutig, denn zweifelsohne wird dieser Band die Leserschaft noch mehr spalten als die ebenfalls schon kontroversen Vorgänger-Romane.

    Mit "Einer von den Guten" bestätigt Jan Costin Wagner, dass die Reihe um Ben Neven die derzeit wohl aufregendste in der deutschsprachigen Kriminalliteratur ist. Die Ereignisse am Ende des Buches lassen darauf hoffen, dass es einen vierten Band geben wird. Den Leser:innen sollte bewusst sein, dass sie sich auf eine beklemmende Lektüre einlassen. Eine Lektüre, die sie beschäftigen und verfolgen wird. Doch dafür werden sie belohnt. Mit einer intensiven und beeindruckenden Geschichte. Und mit unvergesslichen Charakteren. Denn manchmal ist Literatur einfach schmerzhaft.